Pushbacks in der EU und die Rolle Österreichs
Maximilian Langer & Franziska Hammerer

© SOS Balkanroute
Nach wie vor gibt es in der Europäischen Union keine funktionierende Zusammenarbeit beim Thema Migration. Das Ergebnis sind unter anderem illegale Pushbacks, bei denen auch Österreich eine unrühmliche Rolle einnimmt.
Knapp 56.000 Asylanträge wurden in Österreich bis Ende November 2023 gestellt. Im Vorjahr waren es rund 112.000, das bedeutet einen Rückgang von 50 Prozent. Gleichzeitig berichtet die EU-Grenzschutzagentur Frontex, dass es 2023 so viele illegale Einreisen von Geflüchteten in die EU gegeben habe wie seit 2016 nicht mehr. Was passiert mit den Personen auf der Flucht?
Viele kommen früher oder später auf Teile der sogenannten Balkanroute. Die Fluchtroute über den Balkan vom Nahen Osten nach Europa bleibt eine der wichtigsten Migrationsrouten. Schlepperkriminalität und Vorwürfe gegen Grenzpolizei aufgrund gewaltsamer Pushbacks zeigen, der Weg für Geflüchtete ist nicht einfach.
Was ist die Balkanroute?
Laut UNHCR bezeichnet die Balkanroute, die Fluchtrouten, die Personen auf der Flucht nutzen, um über den Balkan vom Nahen Osten nach Europa zu gelangen. Auch wenn die Zahlen nicht mehr so hoch sind wie in den Jahren 2015/16 bleibt sie eine wichtige Migrationsroute. So sind beispielsweise zwischen Januar und November 2022 etwa 34.300 Menschen entlang der Balkanroute unterwegs gewesen.
Eine Person, die die Balkanroute kennt und immer wieder vor Ort ist, ist der Rapper Kid Pex, auch Petar Rosandić. Er gründete 2019 die NGO „SOS Balkanroute“. Eine Organisation, die auf zwei Ebenen fungiert, erzählt er im Interview. Zum einen soll Personen auf der Flucht geholfen werden. Zum anderen wolle man auch politischen Einfluss nehmen und „eine Stimme der Menschlichkeit“ in Österreich sein.

© SOS Balkanroute
Methodische Pushbacks an Österreichs Grenze
Pushback-Vorwürfe gibt es nicht nur gegen Beamt:innen in Kroatien, Serbien oder Ungarn, sondern auch in Österreich. Bei einem Pushback werden flüchtende Personen nach dem Grenzübertritt oft auch durch Gewalt, wieder außer Landes gebracht, ohne die Möglichkeit zu bekommen, einen Asylantrag zu stellen.
Wie Amnesty International berichtet, bestätigte eine Entscheidung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs das Ausmaß der Verstöße an der österreichischen Grenze gegen das internationale Asylrecht. Die Pushbacks an der österreichisch-slowenischen Grenze würden methodisch Anwendung finden. Ausgelöst wurde dieses Urteil unter anderem vom marokkanischen Asylwerber Ayoub N., der im Herbst 2020 mit sechs weiteren Geflüchteten ohne Dokumente die Grenze von Slowenien nach Österreich übertrat.
Auch Aktivist und Rapper Kid Pex erinnert sich an den Marokkaner, den er später in Bosnien kennengelernt hat. Dorthin wurde die Gruppe rund um Ayoub N. im Rahmen eines „Kettenpushbacks“ abgeschoben. Bei Kettenpushbacks werden flüchtende Personen von einem Land ins nächste abgeschoben, bis sie an eine EU-Außengrenze gelangen. Österreichische Beamt:innen haben die Flüchtenden kurz vor Graz aufgegriffen und an die slowenische Polizei übergeben. Bevor sie über Slowenien und Kroatien bis nach Bosnien abgeschoben wurden, sollen kroatische Polizist:innen die sieben Geflüchteten verprügelt haben. Das erzählt Ayoub N. in einem Interview mit der Rechercheplattform „Tagebuch“.
Menschen- und Völkerrechtsexperte Ralph Janik erklärt an einem Beispiel, warum sich auch Österreich bei einer „Kettenabschiebung“ strafbar mache: „Österreich ist ein Glied in dieser Kette, dann ist Ungarn ein Glied und dann ist Serbien ein Glied. In Serbien werden die Personen vielleicht misshandelt. Vielleicht landen die Geflüchteten irgendwann in Libyen und werden dort misshandelt. Man darf kein einziges Glied in dieser Kette sein.“ Daher zähle das Argument nicht, dass man nur in ein sicheres Land abschieben würde, wenn man wisse, dass dieses „Glied“ zu weiteren „Gliedern der Kette“ führe. „Wenn dann irgendwann der Mensch unmenschlich behandelt wird, dann macht man sich genauso menschenrechtlich verantwortlich,“ so Ralph Janik.
Ähnliches wie Ayoub N. geschah dem Somalier Amin N. im Juli 2021. SOS Mitmensch beschreibt, dass der damals 17-Jährige mit fünf weiteren Geflüchteten die österreichisch-slowenische Grenze überquerte. Auch diese Gruppe wurde von der österreichischen Polizei aufgegriffen und nach Slowenien zurückgebracht, wo Amin N. inzwischen Asyl erhalten habe.
In beiden Fällen entschied das Landesverwaltungsgericht Steiermark, dass die Zurückweisungen durch die heimischen Beamt:innen rechtswidrig waren. Zusätzlich urteilte der österreichische Verfassungsgerichtshof, dass Pushbacks in Österreich „teilweise methodische Anwendung“ finden würden. Ein Urteil, das zumindest auf österreichischem Boden Wirkung zeigt, findet Kid Pex. Seither seien ihm keine Berichte von Pushbacks an der österreichisch-slowenischen Grenze untergekommen.
Ad-hoc-Entscheidungen statt Asylverfahren?
Solche Zurückweisungen verstoßen gegen internationales Recht, denn ein Schutzsuchender darf an den Grenzen Europas nicht ohne Grund zurückgewiesen werden. Völkerrechtsexperte Ralph Janik erklärt: „Man muss davor prüfen, ob ein Asylgrund vorliegt.“ Auch wenn kein Asylgrund aufgrund der offiziellen Gefahren im Herkunftsland vorliegen würde, müsse man prüfen, ob das Zurückbringen ein Risiko in sich birgt: „Manchmal ist jemand ein Flüchtling, obwohl das Herkunftsland gar nicht so gefährlich ist. Trotzdem kann ein Schutzsuchender in dem Land, in das er gebracht wird, erniedrigend behandelt werden, gefoltert werden oder schlechte Gefängnisbedingungen zu erwarten haben.“ Wenn Asylwerbende zurückgewiesen werden, ohne einer solchen Prüfung zu unterlaufen, verstoße das gegen internationales Recht.
Was sagt das Innenministerium?
Solch eine erniedrigende Behandlung könne nicht nur in Ländern außerhalb der EU erwartet werden, meint Janik. „Das ist vor allem bei Griechenland und auch Ungarn ein Problem, dass die Bedingungen nicht gut genug sind, zum Beispiel in Flüchtlingsunterkünften,“ führt der Völkerrechtsexperte aus. Mit Ungarn arbeitet Österreich im Rahmen der sogenannten „Operation Fox“ zusammen.
Als bereits im Sommer feststand, dass die Asylanträge in Österreich von 2022 auf 2023 deutlich zurückgehen würden, ortete das Innenministerium die Gründe dafür auch in dieser Zusammenarbeit im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet. Im Rahmen der „Operation Fox“ sollen heimische Polizist:innen im Nachbarland Ungarn und in Kooperation mit den dortigen Behörden Geflüchtete aufgreifen und Schlepperei bekämpfen. Wie das Ö1-Morgenjournal im Juli 2023 berichtete, werfen ungarische NGOs den österreichischen Kräften vor, dass sie damit indirekt an illegalen Pushbacks der ungarischen Behörden beteiligt seien.
Gegenüber Ö1 und später bei einer Pressekonferenz wies Gerhard Karner als zuständiger Innenminister die Vorwürfe zurück: „Unsere Aufgabe ist es – die Aufgabe der österreichischen Polizei –, die österreichischen Grenzen zu sichern, das tun wir aber auch auf ungarischem Staatsgebiet“, sagte der Innenminister. Dadurch seien auch die Asylantragszahlen in Österreich gesunken. Rund 70 Schlepper:innen seien im Zuge der „Operation Fox“ in Ungarn im ersten Halbjahr 2023 festgenommen worden.
Ralph Janik sagt zu den Vorwürfen, dass Österreich als EU-Binnenland häufig argumentiere, dass „hier um Österreich herum alles ungefährlich ist. Aber natürlich können auch andere EU-Länder erniedrigende Behandlung haben.
Vorwürfe gegen Ungarn
Um Ungarn zu schützen, gründete Victor Orban 2022 die sogenannten „Grenzjäger“. Grund dafür sei dem ungarischen Ministerpräsidenten zufolge der enorme „Migrationsdruck“, der in dem Land herrsche. Die Einheit soll „illegale Einwanderung“ verhindern. Einsatzbereit sei die Truppe schon nach einer vierwöchigen Einschulung. Wer Teil der Grenzjäger werden will, muss unbestraft sein, eine ungarische Staatsbürgerschaft besitzen und darf das Maximalalter von 55 Jahren nicht überschreiten. Kid Pex spricht hierbei von einer „Expressausbildung“. Auch bei der Rekrutierung sieht der Aktivist ein Problem, denn angeworben sollen die Personen mit „Türsteherästhetik“ auf „Bierzeltfestivals“ werden.
Einsatzgebiet dieser „Grenzjäger“ ist die Südgrenze Ungarns zu Serbien. Dort befindet sich auch die etwa 165 km lange Grenzanlage zum benachbartem Serbien berichtet die NZZ. Die Grenze zu Serbien wird mit einem Stacheldrahtzaun getrennt. Kurz davor, ein abgesperrtes Areal mit blauen Containern. “Asylkoordination“ zufolge dienen die Container als Unterbringung für die Personen, die nach Serbien abgeschoben werden sollen. Prekäre Zustände lassen sich aus einem Bericht des Mediums rauslesen. Demzufolge würden die Geflüchteten „eingesperrt und abgefertigt“ werden. Auch „physische Gewalt findet dort statt“, wie Milica Švabić, eine Anwältin, die die dortige Situation beobachtet, schildert. Erfahrungsberichte erzählen außerdem von Drohungen und Entblößungen, so soll beispielsweise ein ungarischer Beamter auf eine geflüchtete Person uriniert haben, erzählt Švabić. In einer Mitteilung von Ärzte ohne Grenzen heißt es, dass man in der Grenzregion 500 durch ungarische Beamt:innen Verletzte behandle.
Ungarn wurde bereits mehrere Male vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen seines Umgangs mit Asylbewerbenden verurteilt.
„Wir wollen die Drecksarbeit nicht selbst machen“
Österreich würde sich grundsätzlich an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte halten, so Menschen- und Völkerrechtsexperte Ralph Janik. Daran merke man allerdings, „dass man das {Pushbacks} nicht gleich in Österreich machen will oder an der österreichischen Grenze.“ Es solle aus der Wahrnehmung der Bevölkerung gehalten werden. „Daran scheinen wir ein hohes Interesse zu haben. Wir wollen die Drecksarbeit nicht selbst machen,“ sagt Janik.